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© 1999-2007 by the crew
a story without name
by sir han
(German)

"Die Nacht war schwarz, der Mond und alle Sterne waren vom Firmament verschwunden.

Die Stille wurde unterbrochen von hastigen Schritten. Schwer trafen die harten Absätze der Stiefel den schmutzigen Asphalt. Die Gestalt, die die Straße hinablief, blickte sich immer wieder ängstlich um. Das Klirren der Metallteile an der Lederjacke des Mannes, der stoßweise gehende Atem und der gehetzte Gesichtsausdruck würden jedem Entgegenkommenden dazu veranlassen, die Straßenseite zu wechseln, aber kein Mensch befand sich zu dieser Zeit in der Stadt. Kein Mensch hatte diesen Ort seit Jahren betreten. Ausnahmen waren nur jene Glücksritter gewesen, die das, was die Geschichten darüber zu berichten hatte, gesuchten, und keiner von denen, die es versucht hatten, war bisher zurückgekommen um zu berichten, was wirklich passiert war, damals, als alles angefangen hatte. Und nur einmal im Jahr, nur eine Nacht lang, erschien diese Stadt plötzlich aus dem Nichts und führte Neugierige in Versuchung.

Das Blut hämmert in den Schläfen und die Beine standen kurz davor, ihren Dienst aufzugeben. "Noch nicht, nicht jetzt" dachte der Mann. Sein von Schmutz verdrecktes Gesicht schnitt eine hässliche Grimasse, als er, und er konnte es sich selbst nicht erklären, versuchte, zu lächeln. Doch dieses Lächeln war keineswegs herzlich, vielmehr die Gewissheit, diese Nacht nicht überstehen zu werden, jedoch noch einige dieser Kreaturen, die seit geraumer Zeit hinter ihm herschlichen, auszulöschen.

Die Eisenstange mit den angeschweißten Stahlstiften, gleich einem Morgenstern troff von Blut. Fleischfetzten hingen in den Stacheln, und es würde noch eine Menge davon dort hängen bleiben, wenn es nach ihm ginge. Keiner war bisher so weit gekommen, dessen war er sich sicher. Und verdammt, mit ein wenig Glück könnte er es sogar schaffen, wenn nur die Wunde an der linken Hüfte nicht wäre. Jeder seiner Schritte vermittelte ihm das Gefühl, als würden sich glühende Messer in sein Fleisch bohren. Nur kurz war er unachtsam gewesen ? aber dieser Augenblick hatte dazu gereicht, dass ihm diese Verletzung zugefügt werden konnte. Plötzlich stockte er. Während der aufreibenden Hetzjagd war er in eine Sackgasse geraten. Rund um ihn nur meterhohe Häuserwände ohne eine Möglichkeit, an ihnen emporzuklettern und entkommen zu können. "Zurück" dachte er noch, doch das Schicksal ließ ihm keine Gelegenheit mehr dazu. Angstverzerrt blickte er in die Richtung, die sein einziger Ausweg sein konnte. Der Griff um seine Waffe wurde fester. Langsam hob er die Stange an, ein wenig angewinkelt, um sofort losschlagen zu können. Ein paar Schritte wurden ihm gewährt, dann erkannte er, dass es eine neuerliche Auseinandersetzung geben würde. Er hörte ihre Schritte. Er roch ihren stinkenden Atem und ihre ekelerregenden Ausdünstungen, doch sehen konnte er sie nicht, nur ihre schattenhaften Silhouetten waren zu erkennen.

Aber die Gewissheit ihrer Anwesenheit wurde ihm schlagartig vor Augen geführt, als sein rechtes Bein knapp unter dem Knie regelrecht aufplatzte. Der Stoff seiner schweren Armeehose war mühelos aufgerissen worden. Ein fast handflächengroßes Stück Fleisch fehlte. Das Blut spritze im ersten Moment fast einen Meter weit und wechselte dann zu einem kontinuierlichem Heraussprudeln. Schon spürte er, wie sich der Stiefel mit dem eigenen Lebenssaft zu füllen begann. Mit einem grässlichen Schrei war er zwei Schritte zurückgetaumelt. Nun aber holte er zum Schlag aus. Wild wirbelte er mit mit seiner Stange umher. Und ab und zu traf er auf Widerstand. Blut spritzte ihm nach einem seiner Treffer ins Gesicht und sofort nach dem Kontakt schien sich dieses in Säure zu verwandeln und damit zu beginnen, die gesamte Gesichtshälfte bis auf die Backenknochen freizulegen. Der Gestank wurde immer unerträglicher.

Unerträglich war auch, dass er nicht sehen konnte, wen oder was er da bekämpfte, wie viele von ihnen um ihn herumwaren und wie viele er schon erledigt hatte. Noch einmal hob er zu Schlag an als ein Hieb des Gegners ihn traf. Die gesamte Bauchdecke war aufgerissen worden. Noch im Schlag blickte der Mann an sich herab. Vom Nabel bis kurz unter die Brust war nur noch ein Bereich zu erkennen, der sich aus zerfetzten Resten seiner Kleidung zusammsetzte, aus Fleisch und Gedärmen, die dabei waren aus seinem Körper zu quellen.

Röchelnd und mit einem ungläubigen Blick sank er auf den Boden. Seine Gedanken waren nur noch wirres Zeug.

Die Nacht war schwarz, der Mond und alle Sterne waren vom Firmament verschwunden."
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sir han, november 1999