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"Der Dorn"
by Sir Han
(German)

"Mit einem kurzen Zischen begann der Dorn in Bewegung zu geraten. Langsam senkte er sich auf dem von der FŸhrungsschiene vorgegebenem Weg von der Decke herab. Der Dorn, wie dieses GerŠt genannt wurde, war eigentlich eine simple Konstruktion, bestehend aus einer Stahlnadel, die je nach Bedarf in Umfang und LŠnge variierte, einer Kontrollplattform am Boden sowie einer fixen Verankerung in der Decke. Derzeit waren sieben dieser GerŠte im Quadranten eingesetzt. WŠren 100 davon zur VerfŸgung gestanden, ihre Zahl hŠtte bei weitem nicht ausgereicht, um sŠmtliche "Behandlungen" in der vorgegebenen Frist durchzufŸhren.

Je nŠher der Dorn dem Kšrper des "Patienten" kam, umso stŠrker glaubte dieser das Summen des GerŠtes zu vernehmen. Die Gesichter, der Ÿberall im Raum, sei es an Schaltkonsolen oder Terminals tŠtigen "Behandler", schienen ausdruckslos zu sein. GefŸhle konnten zwar nicht ganz vermieden werden, doch gab es Methoden, solcherart aufkeimende Erregungen nachdrŸcklich zu unterbinden, sodass die Arbeitsleistung nicht darunter leiden musste. Endlich berŸhrte die Spitze des Dorns die Haut des "Patienten". Die Schreie desselben wurden von dem ihn umgebenden Kraftfeld weitgehend absorbiert. Von au§en war nur ein leises Wimmern zu vernehmen.

Der erste Probelauf des Dorns an diesem "Patienten" war bereits vor drei Stunden abgeschlossen worden. Meist wurde, wie auch in diesem Fall, ein Oberarm des "Patienten" dazu herangezogen. Oft genug war es damit getan, da der "Patient" zu diesem Zeitpunkt alles unterschrieben, ausgesagt und bestŠtigt hatte, was immer die "Lauscher" auch hšren wollten. Der "Patient" wurde daraufhin in seine Zelle gebracht, in der er wenige Stunden spŠter mittels Nervengas eliminiert wurde.
Der Mann, der nun auf dem Behandlungstisch log, hatte die Prozedur ohne brauchbare Ergebnisse Ÿberstanden. Der zweite Schritt war somit unvermeidlich.

Exkurs: Die Haut eines Lebewesens hat, je nach Art und Beschaffenheit, eine unterschiedliche Spannkraft aufzuweisen. †berschreitet der Druck, der ausgeŸbt wird, diese Spannkraft, stellt sich ihn nichts anderes mehr in den Weg, als blutiges Fleisch und Knochen, welche wiederum artspezifische Unterschiede aufweisen.

Protokoll:

Der Dorn hat nun eine Tiefe von 2,1 Millimetern erreicht. Durch den Druck auf die Haus wird zu diesem Zeitpunkt das Schmerzzentrum im Gehirn aktiviert.

4 Millimeter Tiefe - die Haut rei§t auf, der Dorn ist in den Kšrper eingetreten. Der Patient blutet noch nicht.

10 Millimeter Tiefe - Muskelfasern sind gerissen, BlutgefŠ§e verletzt. Der Scan-Schirm gibt alle Daten und Details wieder. Das Gesicht des Patienten ist schmerzverzerrt.

15 Millimeter Tiefe - €u§erer Bereich der Niere erreicht. Blutungen werden heftiger. Der Patient erhŠlt automatisch ein Stimulans, um eine Ohnmacht abzuwenden.

18 Millimeter Tiefe - Der Dorn ist in die Niere eingedrungen. Bleibender Schaden nicht mehr abwendbar. Die Schmerzen des "Patienten" waren unvorstellbar und die Erlšsung durch den Tod wŸrde noch aufgeschoben werden, solange die Medikamente und der im Unterbewu§tsein verankerte Lebenswille ihre Aufgabe taten.

Der Dorn steckte nun bereits 60 Millimeter tief in der HŸfte des Mannes. Das Blut quoll zwischen Fleisch und Metall hervor, sammelte sich eine zeitlang auf der Bauchdecke, bis es schlie§lich an der Seite entlang rann und auf den Boden tropfte. Immer schneller wurden die AbstŠnde zwischen den dem Boden zustrebenden Blutstropfen. Rasch bildete sich auch dort eine Lache des wertvollen Lebenssaftes. Die Stellen des Kšrpers, die noch nicht mit Blut verschmiert waren, wurden von Schwei§ bedeckt, der, so schien es, aus jeder noch freien Pore austrat.

Wieder hielt der Dorn inne - und jedes Mal hšrte der "Patient" die selbe Frage, gestellt von einem der "Lauscher". Als Antwort bekamen diese jedesmal nur FlŸche zu hšren, die nun aber nur noch ein leises Ršcheln darstellten. Man kam zur Einsicht, dass die weitere Prozedur keinen Erfolg mehr bringen wŸrde, da der Mann bereits mehr tot als lebendig war.

Ein neuer Befehl wurde im Programm des Dorns aktiv. Aus der glatten OberflŠche des Metallstiftes wurden wiederum winzige Dornen ausgefahren, die horizontal abstanden. Dann begann der Dorn langsam damit, sich um die eigene Achse zu drehen. Immer schneller wurde diese Bewegung, bis das Tempo 7800 Umdrehungen in der Minute erreichte. Noch einmal wurde eine gewaltige Menge Aufputschmittel in den Kšrper des "Patienten" gepumpt. Die Wirkung stellte sich sofort ein. Als hŠtte er seinen Lebensmut wiedererlangt, begann der Patient zu schreien. Der Dorn zerfrŠste in der Zwischenzeit seinen Leib. Noch einmal wurden die Personen im Raum mit FlŸchen ŸberschŸttet - dann war es still. Mit weit aufgerissenen Augen, den Mund noch offen, geformt zu einem Schrei der nicht beendet werden konnte, lag der "Patient" still da. Triefendna§ vom Schwei§ und blutverschmiert. Der Dorn hatte bis zum Zeitpunkt des Exodus des "Patienten" eine Öffnung von 15 cm Durchmesser gefräßt. Es waren keine Einzelheiten der inneren Organe mehr zu erkennen. Das Blut quoll noch immer aus der Wunde und bis zu seinem Versiegen wŸrde der Kšrper leer und bleich sein.

Doch bis dahin musste der Behandlungstisch gesŠubert und neu positioniert sein, denn es gab noch mehr "Patienten", die heute behandelt werden sollten."
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sir han, september 2000